Monthly Archive for December, 2005

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Rheinischer Merkur

NEUANFANG / An den KA?A?sten SA?A?dindiens und Sri Lankas funktionierte die erste Hilfe. Doch nun gibt es Konflikte

Gestrandete Hoffnung

Ein Siedlungsverbot an der KA?A?ste bedroht die Fischer in ihrer Existenz. Sie haben Angst vor Umsiedlung. NutznieA?A?er ist die Tourismusbranche.

MICHAEL NETZHAMMER,PUSHPAVANAM

Es ist eine Parade der besonderen Art, hier am Strand von Pushpavanam an der sA?A?dindischen OstkA?A?ste. Neue Boote in allen Farben liegen auf dem weiA?A?en Strand. Sie unterscheiden sich weniger in ihrem Design, mehr jedoch in den SchriftzA?A?gen auf ihren Seiten. Namen nationaler und internationaler Hilfsorganisationen sind darauf verewigt, Symbole fA?A?r die nach dem Tsunami geleistete Hilfe, Symbole aber auch fA?A?r deren mediale Zurschaustellung.

Dieser Hilfe ist es zu verdanken, dass die meisten Fischer von Pushpavanam wieder aufs Meer hinausfahren und ihren Lebensunterhalt verdienen kA?A?nnen. Auf der anderen Seite hausen die meisten noch immer in NotunterkA?A?nften aus Wellpappe, die sich im Sommer aufheizen, sodass es darin keiner aushA?A?lt. Nun wA?A?hrend des Monsuns werden viele A?A?berschwemmt, sodass die Bewohner buchstA?A?blich im Wasser sitzen.

Was also haben die zahlreichen Spenden bewirkt? Ist das Geld bei den Opfern angekommen? Warum leben viele tausend Menschen immer noch in NotunterkA?A?nften? Eindeutige Fragen, auf die es je nach Region, Land und Art der Hilfe unterschiedliche Antworten gibt.

Von oben herab

A?a??A?Die indische Regierung leistete sehr effektive Nothilfe, versorgte die Menschen in kA?A?rzester Zeit mit Nahrungsmitteln, Geld und NotunterkA?A?nften”, erklA?A?rt Bhakhter Solomon von der indischen Hilfsorganisation A?a??A?Development Promotion Group” (DPG). Dadurch folgte der Katastrophe keine von Hunger und Seuchen ausgelA?A?ste zweite A?a??a?? im Gegensatz zur jA?A?ngsten Erdbebenkatastrophe in Pakistan. A?a??A?Mehr als 60 Prozent der Opfer in Sri Lanka oder Indien sind der Meinung, genA?A?gend Hilfe in den ersten 60 Tagen erhalten zu haben”, kommt das US-amerikanische Fritz Institute nach einer Umfrage in mehr als einhundert betroffenen DA?A?rfern zum Schluss.

Nicht alle teilen dieses positive Bild. Viele Fischer beispielsweise monieren, dass die Hilfsorganisationen nur sehr wenig A?A?ber die BedA?A?rfnisse der Fischer wussten. A?a??A?Sie haben nie nachgefragt, sondern sehr von oben herab gehandelt”, kritisiert Anbu Kripanithi aus einem Nachbardorf. In Pushpavanam hingegen haben Mitarbeiter des Kirchenhilfswerks Casa, unterstA?A?tzt von der Diakonie-Katastrophenhilfe, das Vorgehen mit dem Dorfrat beschlossen.

So bekam in Pushpavanam nicht jeder Fischer ein eigenes Boot, sondern nur ein Team, A?a??A?weil jedes Boot ohnehin vier Mann Besatzung braucht”, sagt Paul Luther von Casa. Viele Hilfsorganisationen berA?A?cksichtigten diese Tatsache nicht, weshalb es in manchen DA?A?rfern viel mehr Boote gibt als zum Einsatz kommen.

Grund zur Kritik haben auch die Dalits. Den A?a??A?UnberA?A?hrbaren” der indischen Gesellschaft wurde immer wieder Hilfe verwehrt. Sie erhielten keinen Zugang zu Wasserdepots oder wurden bei Zuteilungen A?A?bergangen, urteilt die A?a??A?Nationale Dalit-Kampagne fA?A?r Menschenrechte” (NCDHR): A?a??A?Wir wurden gleich zweimal Opfer der Katastrophe, zum einen durch die Natur, zum anderen aufgrund der Diskriminierung durch Regierungsstellen und Hilfsorganisationen.”

Neben den Dalits sind auch viele Farmer mit ihrer Regierung unzufrieden. Zum Beispiel in Prathabarampuram, einige Kilometer vom Fischerdorf Pushpavanam entfernt. Hier hat die Katastrophe 900 Hektar, 60 Prozent der gesamten AckerflA?A?che, unfruchtbar gemacht. A?a??A?Von was sollen wir leben, wenn wir nichts mehr anbauen kA?A?nnen?”, fragt der Farmer Ramakrishnan.

Ein Problem, das entlang der sA?A?dindischen KA?A?ste sehr viele Bauern bewegt A?a??a?? ohne dass sie von der Regierung Antworten darauf bekA?A?men. Umso A?A?berraschter waren die Bewohner, als Mitarbeiter von Sevalaya das Dorf besuchten, die Partnerorganisation von Terre des Hommes. Nun suchen deren Experten gemeinsam mit Wissenschaftlern der LandwirtschaftsuniversitA?A?t nach Wegen, die A?a?zcker zu entsalzen.

Aus eigener Kraft

Diese negativen Begleiterscheinungen mindern die A?A?berwiegend positive EinschA?A?tzung jedoch kaum. Vor allem nicht angesichts des AusmaA?A?es der Katastrophe, die in Indien und Sri Lanka allein zwei Millionen Menschen betraf, 42000 Menschen das Leben kostete und eine Million obdachlos machte. A?a??A?Inzwischen kA?A?nnen 90 Prozent aller Menschen ihr Leben wieder aus eigener Kraft bestreiten, weil sie mit Booten, Netzen und Werkzeugen versorgt wurden”, sagt DPG-Direktor Bhakhter Solomon.

Nicht so positiv fA?A?llt sein ResA?A?mee fA?A?r den Wiederaufbau aus. Im Distrikt Nagapattinam, in dem allein 19000 HA?A?user wieder aufgebaut werden mA?A?ssen, leben 90 Prozent der Bewohner immer noch in NotunterkA?A?nften. Dass weder in SA?A?dindien noch in Sri Lanka die meisten festen Wohnungen fertig gestellt sind, dafA?A?r spielen mehrere Faktoren eine Rolle: die GrA?A?A?A?e des Vorhabens, die explodierenden GrundstA?A?ckspreise, der Mangel an Rohstoffen und Material.

Als grA?A?A?A?te Hemmnisse erwiesen sich jedoch die Entscheidungen der Regierungen von Indien und Sri Lanka, entlang ihrer KA?A?sten Pufferzonen zwischen 100 und 300 Metern auszurufen. Sie trafen diese Entscheidungen, ohne dass sie hA?A?tten sagen kA?A?nnen, wo sie denn die betroffenen Fischer kA?A?nftig anzusiedeln gedA?A?chten.

Laut artikulierte sich der Widerstand. Die Fischer vermuten, dass diese MaA?A?nahmen weniger auf ihren Schutz zielen, sondern vielmehr auf ihre Vertreibung von den lukrativen StrA?A?nden. Nicht ohne Grund. So gilt die Pufferzone in Sri Lanka zwar fA?A?r Fischer, nicht jedoch fA?A?r Hotel- und Restaurantbesitzer. Zum Beispiel in der Arugam Bay an der OstkA?A?ste Sri Lankas, wo der Streit zwischen Fischern und Hotelbesitzern zu eskalieren droht. Die Region soll zu einem Touristenzentrum ausgebaut werden, A?a??A?deshalb will die Regierung uns Fischer vom Strand vertreiben”, sagt Abdul Jabbar von der National Fishery Solidarity.

Achtzig Millionen Dollar sollen hier investiert werden A?a??a?? Gelder, die von GeberlA?A?ndern fA?A?r die Tsunami-Opfer bereitgestellt wurden, vermutet Sarath Fernando von A?a??A?Nationalen Bewegung fA?A?r eine Agrarreform” (Monlar), einer Dachorganisation, die von A?a??A?Brot fA?A?r die Welt” unterstA?A?tzt wird.

A?a?zhnliche Ziele vermutet Jesurethinam Christy von der indischen Organisation Sneha hinter der Pufferzone auch in ihrem Land, A?a??A?wo Industriekomplexe und Tourismusressorts entstehen, ohne dass die Regierung gegen diese RechtsverstA?A?A?A?e vorginge”, kritisiert die Direktorin.

Bis heute hat die Diskussion um die Pufferzone den Wiederaufbau der dringend benA?A?tigten HA?A?user um viele Monate verzA?A?gert. Weil es in KA?A?stennA?A?he kein alternatives Land gibt und die Fischer ihre Heimat nicht verlieren wollen, gA?A?rt es vor Ort. Zum Beispiel bei den Fischern von Keechankuppan. A?a??A?Wo sollen wir unsere Boote, unsere Motoren, unsere Netze lagern, wenn wir ins Landesinnere umgesiedelt werden?”, fragt Aruna Sridhar.

Enormer Erwartungsdruck

Eine Umsiedlung fA?A?rchtet der Chef des Dorfrates mehr als einen zweiten Tsunami, obwohl er durch die Wellen zwei Kinder verloren hat. A?a??A?Das Meer kann uns das Leben nehmen. Verlieren wir aber den Strand, dann verlieren wir unsere gesamte Existenz.” Insofern kommt der politischen Auseinandersetzung um die kA?A?nftige Nutzung des KA?A?stenstreifens immense Bedeutung zu. Dieser Debatte kA?A?nnen sich die Hilfsorganisationen nicht entziehen, auch wenn dies Zeit kostet.

Keine Frage, die Helfer stehen unter einem enormen Erwartungsdruck. Spender und Medien wollen Erfolge sehen. A?a??A?Wenn wir die Dinge forcieren und uns der Tyrannei des Handels unterwerfen”, warnt Kathleen Carvero vom UN-KoordinationsbA?A?ro fA?A?r humanitA?A?re Angelegenheiten, kA?A?nnte uns das auf lange Sicht zurA?A?ckwerfen.” Denn wer schnell HA?A?user an der falschen Stelle baut, der mag medial punkten, hilft den Opfern des Tsunamis aber auf lange Sicht nicht.

A?A? Rheinischer Merkur Nr. 50, 15.12.2005

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