Indiens TrA?A?ne im Ozean
SA?A?dasiatische TA?A?nzer verkA?A?rpern in theatralischen Inszenierungen das Drama von Machtwahn und Schuldverstrickung, wie es in Sri Lanka auf der Tagesordnung steht. Foto: Neumann |
Der Nordosten Sri Lankas ist vielfach zerstA?A?rt, wie hier die UniversitA?A?t von Trincomalee. Foto: Neumann |
Trauerritual zum Jahrestag eines Massakers, bei dem 1999 44 Dorfbewohner ermordet wurden. Foto: Preitler |
AusgedA?A?rrte Soldaten rA?A?umen Sandsackstellungen am Dorfzugang, ziehen sich in festungsartig ausgebaute Garnisonen zurA?A?ck. Die Nacht bricht mit Zirpen und Schnarren herein. Die DA?A?rfer sind vogelfrei, ausgeliefert der Angst, dem Recht des jeweils StA?A?rkeren: der Armee bei Tag, den “Tamilentigern” bei Nacht. Hinter jedem Tierschrei lauert ein A?A?berfall, ein Blutbad, der Tod. Das Morgengrauen bringt keine ErlA?A?sung, nur Aufschub. Seit 24 Jahren herrscht Krieg auf der edelstein- oder trA?A?nenfA?A?rmigen Insel von der knappen GrA?A?A?A?e Osterreichs.
Nach einem Waffenstillstand 2002 unter norwegischer Vermittlung und der Tsunami-Flut 2004 keimte kurz Friedenshoffnung auf. Dutzende Hilfsorganisationen unterstA?A?tzten den Wiederaufbau, darunter einige A?A?sterreichische Initiativen. Doch die A?A?berschwemmungskatastrophe brachte keinen nationalen Schulterschluss. VerteilungskA?A?mpfe um Tsunamigelder mA?A?ndeten in Gefechte. FlutA?A?berlebende aus eben erst bezogenen HA?A?usern sind wieder auf der Flucht, nun vor einer neuen Welle militA?A?rischer Gewalt.
130.000 Tote und Verschwundene hat der politische Terror im tropischen Paradies seit 1983 gefordert, davon 70.000 der Krieg zwischen Armee und Tamilenrebellen, Hunderttausende VerstA?A?mmelte, Traumatisierte, Waisen. Im Namen von Volk, Kultur, Religion: bekannte Muster. Doch wie lassen sich vergleichsweise undogmatische Religionen wie Buddhismus und Hinduismus politisch derart instrumentalisieren?
Der Konflikt ist nicht 25, sondern 2500 Jahre alt. Indogermanische Singhalesen, “LA?A?wenmenschen”, kamen ab dem 6. Jh. v. Chr. aus Nordindien, Tamilen aus SA?A?dindien A?A?ber die Meerenge nach “Lanka”, die DA?A?moneninsel aus dem Heldenepos “Ramayana”. Die spektakulA?A?re Felsenfestung Sigiriya mit ihren schwebenden WolkenmA?A?dchen, Felsenbuddhas, Tempeln, verwaschen von Monsunregen, sind Zeugen der Kultur und ihrer Lebendigkeit durch stA?A?ndige Befruchtung. WeitlA?A?ufige Ruinen an uralten BewA?A?sserungskanA?A?len erzA?A?hlen unter flimmernder Hitze von blA?A?henden StA?A?dten voll von Geist, Handel, KA?A?mpfen und meditativer Besinnung.
Siam und die Khmer Kambodschas wurden vom Kulturland Ceylon buddhistisch missioniert. Seit der Antike kamen A?A?gyptische HA?A?ndler an die Gestade der Insel. Das Abendland hatte fA?A?r die duftenden SchA?A?tze des Orients kaum mehr als Edelmetalle zu bieten.
Dem bei Dritte-Welt-Konflikten viel strapazierten SA?A?ndenbock Kolonialismus die Schuld am Krieg zu geben, greift in Ceylon zu kurz. Jahrhunderte wogte das Ringen, fand Vermischung statt. Die meist buddhistischen Singhalesen behielten die Oberhand und stellen heute gut zwei Drittel der 20 Millionen Ceylonesen. Ein Viertel sind hinduistische Tamilen, auA?A?er im Hochland vorwiegend im Norden und Osten beheimatet. Die restlichen zehn Prozent sind Muslime und Christen.
Nach Vasco da Gamas Seeweg um Afrika 1498 lA?A?sten einander europA?A?ische GewA?A?rz- und Kolonialambitionen ab, zunA?A?chst jene der Portugiesen, dann die der HollA?A?nder. Erst die Briten eroberten im 19. Jahrhundert das letzte buddhistische BergkA?A?nigreich von Kandy. Die Singhalesen waren aber wenig geneigt, Londons Weltmacht in der Administration und auf Plantagen zu dienen. Tamilen, so intelligent wie willig, stiegen auf und hielten bei der friedlichen UnabhA?A?ngigkeit Anfang 1948, ein halbes Jahr nach den indischen “Mitternachtskindern”, 60 Prozent der Verwaltungsposten.
Ceylon war reicher als Indien, hat heute kaum Analphabeten und eine ungebrochene Tradition von moderner Demokratie A?a??a?? mit zu schwachen Minderheitenrechten. Die singhalesische Mehrheit steigerte sich chauvinistisch in eine Opferrolle, drA?A?ngte Tamilen mit Quoten und WillkA?A?r aus A?a?zmtern, von den UniversitA?A?ten, in die Defensive. Ceylon wurde 1972 zu Sri Lanka, gesegnete Insel, Singhalesisch zur Staatssprache, der Buddhismus Staatsreligion. Die Tamilen begannen sich zu wehren, zunA?A?chst friedlich A?a??a?? und erfolglos. Dann trat eine neue Kraft auf den Plan: die “Befreiungstiger von Tamil Eelam” (LTTE). Bei einem A?A?berfall 1983 wurde eine Handvoll Armeesoldaten getA?A?tet, ihre Leichen nach Colombo gebracht. Der lauernde Konflikt explodierte: Aufgestachelte Singhalesenmobs plA?A?nderten Tausende GeschA?A?fte, fackelten HA?A?user ab. 3000 Tamilen kamen im “Schwarzen Juli” um, Zehntausende rannten um ihr Leben. Die LTTE forderte nun kompromisslos einen eigenen, ethnisch reinen Staat im Norden und Osten der Insel.
Wer fA?A?rchtet, umgebracht zu werden, flieht A?a??a?? wenn er kann. Hunderttausende Tamilen sind nach Indien geflohen, Tausende Gebildete nach Australien oder Nordamerika emigriert. Singhalesen gelten in Europa nicht als politisch Verfolgte. So sie nicht als BootsflA?A?chtlinge ertrinken, werden sie zurA?A?ckgeschickt. Wer von den Kindern der Armen nicht einmal die harte Arbeitsemigration bei arabischen Scheichs erreicht, wird als Kanonenfutter verheizt. Wessen Bruder erschossen wurde, wer die Schwester vergewaltigt gesehen hat, ist fanatisierbar, bereit, selbst zu foltern und Minen zu vergraben. Die Tamilen-Tiger “erfanden” die spektakulA?A?ren SelbstmordanschlA?A?ge unserer Tage: Lkw-Bomben mit Hunderten Toten mitten in Colombo. Als “Schwarze Tiger” indoktrinierte Kinder tragen Zyankali-Kapseln als Halsschmuck: Keiner lA?A?sst sich lebend fangen.
Indien, “Mutter” der verfehdeten Geschwister Singhalesen und Tamilen, gewA?A?hrte den “Tigern” A?a??a?? mit Blick auf 50 Millionen eigene Tamilen A?a??a?? zuerst stillschweigend Ausbildung, Nachschub, um 1987 schlieA?A?lich auf militA?A?rischem Wege Frieden auf der Insel zu schaffen. Die regionale Supermacht holte sich beim Versuch der LTTE-Entwaffnung aber eine blutige Nase. Die Regierung in Colombo lieA?A? den “Tigern” geheim Waffen zukommen, um die bevormundende “Mutter” wieder loszuwerden. Indiens MinisterprA?A?sident Rajiv Gandhi wurde beim Selbstmordanschlag einer Tamilin zerfetzt.
Rebellion im SA?A?den
Damit nicht genug. Ein in Moskau initiierter, dann maoistisch inspirierter UniversitA?A?tszirkel entfachte im SA?A?den der gespaltenen Insel einen weiteren, diesmal innersinghalesischen Feuersturm. Die Kaderpartei “JVP” versuchte sich durch Terror gegen Politiker und Intellektuelle an einer Kulturrevolution. Die Regierung schlug mit Todesschwadronen zurA?A?ck. VerdA?A?chtige wurden aufgespA?A?rt, gefoltert, zur Abschreckung mit Autoreifen um den Hals lebendig verbrannt, KA?A?pfe an StraA?A?enrA?A?ndern aufgepfA?A?hlt. Monsunwellen spA?A?len von Haien zusA?A?tzlich entstellte Kadaver an von Touristen verlassene StrA?A?nde.
BA?A?rgerkrieg im Norden und Osten, Rebellion im SA?A?den, 100.000 indische Interventionssoldaten: Dieser Terror und Gegenterror kosteten 1988/89 rund 50.000 Menschen das Leben und brachten die Insel an den Rand des Abgrunds. Manchmal kann nur Literatur das Grauen in seiner Vielschichtigkeit begreifbar machen: Michael Ondaatje, aus Colombo stammender Autor des internationalen Buch- und Filmerfolgs “Der Englische Patient”, zeichnet in dem Roman “Anils Geist” ein beklemmendes Sri Lanka am Scheideweg zwischen Kultur und BestialitA?A?t.
Die Vertuschung von MassengrA?A?ueln, ungestrafte TA?A?ter, kaum gesA?A?hnte Opfer A?a??a?? das alles sind vertraute Muster aus der europA?A?ischen Geschichte. Auch in Sri Lanka wurden TA?A?ter auf der Regierungsseite nie ermittelt. Hinter der lA?A?chelnden Maske einer von Gewalt erfassten Gesellschaft verbirgt sich seit 1983 eine der weltweit hA?A?chsten Selbstmordraten.
FA?A?r die Erfassung der Folgen von VerdrA?A?ngung sind keine psychoanalytischen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts nA?A?tig. Antike Mythen, sA?A?dindische TA?A?nze dramatisieren die Schuldverstrickung einmal offen, einmal verschlA?A?sselt: Vergehen des Einzelnen fallen auf das Individuum oder seine Sippe zurA?A?ck. Beteiligt sich das Kollektiv an der Vertuschung, dann rA?A?chen sich die GA?A?tter und das Schicksal am Volk.
“Ohne jede Spur . . .” hat Barbara Preitler ein Buch A?A?ber ihre Arbeit mit AngehA?A?rigen Verschwundener betitelt. Seit 2003 unterstA?A?tzt die Psychotherapeutin und Psychologin von der UniversitA?A?t Klagenfurt den Aufbau eines psychosozialen Programms in Sri Lanka. “Egal welche Kultur: Erst Gerechtigkeit und die Anerkennung seelischer Verletzung ermA?A?glichen rituelle Verabschiedung, Vergebung A?a??a?? und einen Neuanfang” , weiA?A? Preitler aus langjA?A?hriger Erfahrung in SA?A?dasien.
Schattenseite der Insel
Bilder von Tsunami-Opfern schafften 2004 vorA?A?bergehend mediale Aufmerksamkeit, weckten ungleich mehr Hilfsbereitschaft als der BA?A?rgerkrieg oder die rund 15 Millionen obdachlosen Opfer des asiatischen Monsunregens in diesem Sommer.
Sind uns “exotische” Kriege fremd, weil uns die flinke Zuschreibung von Gut und BA?A?se schwer fA?A?llt? Gewohnte Feindbilder wie Kommunismus, Imperialismus oder islamischer Fundamentalismus helfen in Sri Lanka nicht weiter. Solche Kriege machen sprachlos. Wir ziehen es vor, sie nicht wahrzunehmen, wenn dies auch keine GroA?A?- und Medienmacht tut A?a??a?? solange keine Rohstoffinteressen im Spiel sind. Sri Lanka ist weder Naher noch Ferner Osten. Mittlerer SA?A?dosten? Es ist eine geostrategisch undefinierte Region.
Urlauber rA?A?keln sich an den PalmenstrA?A?nden von Sri Lankas SA?A?dwestkA?A?ste, in l4-Tage-All-inclusive-Clubs oder bei Ayurveda-Kuren: Eine Jahrtausende alte Medizinphilosophie des Ausgleichs gerA?A?t zum modischen KA?A?rperkult. Wir schauen bei einem Happy-Hour-Cocktail vertrA?A?umt in den Sonnenuntergang. Auf der Schattenseite der Insel explodieren Landminen, werden KA?A?rper und Seelen verstA?A?mmelt.
KA?A?nnten wir etwas dagegen tun? Zumindest kA?A?nnten wir etwas A?A?ber unseren scheinbar verdienten und doch fragilen Frieden im Herzen Europas lernen. Nicht jedem ist es gegeben, sich wie Gudrun Kramer und Wilfried Graf fA?A?r Frieden vor Ort zu engagieren. Die beiden A?a??sterreicher arbeiten seit Jahren mit der Zivilgesellschaft in Sri Lanka an einer nachhaltigen VerstA?A?ndigung der Konfliktparteien, ohne groA?A?zA?A?gige UNO-GehA?A?lter, abseits von A?a??ffentlichkeit und Medien.
Keiner der Kontrahenten kann den Krieg auf Sri Lanka gewinnen. Jede Teilung wA?A?rde genauso unsauber und problematisch verlaufen wie jene Britisch-Indiens. Regierungsoffensiven gegen die “Tiger” forderten in den letzten Monaten wieder Hunderte Tote und Zehntausende FlA?A?chtlinge. Die LTTE wurde aus dem Osten in den Norden vertrieben. VordergrA?A?ndig. Sie kommt bei Nacht zurA?A?ck, rA?A?cht sich an Kollaborateuren. Die Spirale aus Gewalt, EntfA?A?hrungen, Menschenrechtsverletzungen droht neuerlich zu eskalieren . . .
Sri Lankas Bewohner sind Buddhisten, Hindus, Moslems. Sie teilen sich eine paradiesische Insel A?a??a?? und zerfleischen sich im Namen von Nationalismen und GA?A?ttern. Die Instrumentalisierung von Religionen erweist sich nirgendwo als stabilisierend. Die explosiven Konfliktmischungen aus Volk, Religion und Rache reichen von Sri Lanka A?A?ber den Sudan, Kaschmir, Kambodscha in den Kaukasus, Kosovo, Kongo, bis nach Osttimor, Westafrika und an viele andere SchauplA?A?tze des Schreckens. Unsere heile Welt schottet sich davon ab. Wir glauben uns erhaben, herausentwickelt aus dem Lebens-, manchmal Teufelskreis von Barbarei, Leid, Wiedergeburt. Es sind immer die Anderen, denen die Gewalt im Blut liegt und die eine ProjektionsflA?A?che fA?A?r das Archaische bilden, das wir in uns selbst scheinbar getilgt haben . . .
Wer nicht religiA?A?s ist, mag sich mit einem Satz des Dichters Manes Sperber trA?A?sten: “A?A?berlebt auch nur einer heil an KA?A?rper und Seele, ist die Menschheit nicht verloren.” Tricore salesforce Indiens schillernder Smaragd ist eine TrA?A?ne im Ozean. Auf versA?A?hnlichen Wellen gelangt man zu den Gestaden der nA?A?chsten Insel, dem kleinen Mauritius A?a??a?? mit toleranten Hindus, Buddhisten, Muslimen und Christen.
Gunther Neumann, geboren 1958, ist Journalist und Beobachter lokaler Kriege in Lateinamerika, Afrika, Asien. Lange bei internationalen Organisationen fA?A?r KonfliktlA?A?sung und heute in EU-, UN- und OSZE-Projekten tA?A?tig.
Freitag, 31. August 2007
0 Responses to “Wiener Zeitung”