Berliner Zeitung

Frank Nordhausen
Hilflose Helfer
Sri Lanka braucht A?a?zrzte, Reis und Wasser – aber Sri Lanka braucht auch Leute, die wissen, wer und was gerade wo gebraucht wird
ARUGAM BAY, im Januar. Das Zelt ist leer, die beiden Helfer stehen da in ihren blauen Arztkitteln, die Binden und Pflaster und Ampullen, alles ist bereit, nur die Patienten fehlen. Hans Stechele schA?A?ttelt den Kopf, er versteht die Welt nicht recht an diesem Morgen. “Das liegt doch daran, dass die Franzosen vom Roten Kreuz in ihrer Station gerade wieder Curry und Reis verteilen”, vermutet er. Er mag kaum etwas Gutes A?A?ber die franzA?A?sischen Helfer sagen. “Die sitzen den ganzen Tag herum und machen SchA?A?nwettermedizin.” Aber, leider, sie haben mehr Patienten, hier in Arugam Bay.

Hans Stechele kommt aus Heilbronn, er ist 32 Jahre alt, Arzt fA?A?r Kindermedizin, und er hatte sich den Einsatz im Katastrophengebiet, “ehrlich gesagt”, etwas anders vorgestellt. Wenn er allerdings davon erzA?A?hlt, wie er nach Arugam Bay kam, an diesen verwA?A?steten Traumstrand im Osten von Sri Lanka, dann ist das alles nicht ganz A?A?berraschend. Der freiwillige Mitarbeiter einer kleinen Hilfsorganisation aus MA?A?nchen hat sich vor zwei Wochen zusammen mit einem Freund und einigen Kartons voller Medikamente auf den Weg gemacht, den Flutopfern zu helfen. Nur, dass er Sri Lanka nicht kannte und auch gar nicht wusste, wo und wie er zum Einsatz kommen sollte. “Wir haben im SA?A?den der Insel gesucht, aber festgestellt, dass es dort nicht an Medizin mangelte.” Sie mussten auch erkennen, dass schon jede Menge anderer A?a?zrzte auf der Suche nach Patienten waren. “Sie standen sich regelrecht auf den FA?A?A?A?en.”

Irgendwann hA?A?rten Hans Stechele und sein Freund von Arugam Bay, einem abgelegenen KA?A?stenort im Osten Sri Lankas. Als sie dort eintrafen, stellten sie jedoch fest, dass sie wieder zu spA?A?t kamen. Die Rot-Kreuz-Helfer aus Frankreich hatten schon alle schweren FA?A?lle verarztet. Auf einem Reisfeld, in einem weiA?A?en Zelt, erA?A?ffneten die Deutschen dennoch ihre Praxis fA?A?r Kindermedizin. Dort bekamen sie es zwar nicht mit gebrochenen Gliedern, aber mit Husten, Bauchschmerzen und Fieber zu tun, und das sind ja auch Krankheiten. “Normalerweise kommen auch Patienten”, sagt Hans Stechele. Normalerweise.

“Inzwischen ist die Hilfe an der OstkA?A?ste gesichert, auch der Nachschub an Wasser”, sagt Johannes Schraknepper, ein deutscher Arzt, der nicht weit von Arugam Bay in einem Notlazarett des finnischen Roten Kreuzes arbeitet. Im Osten Sri Lankas sieht man nun FlA?A?chtlingslager mit weiA?A?en und blauen Zelten. Inzwischen ist auch schweres RA?A?umgerA?A?t an vielen Orten eingetroffen, zwei Wochen spA?A?ter als im stA?A?rker entwickelten SA?A?den des Landes. Als dort bereits neue BrA?A?cken standen, gab es in Arugam Bay nicht einmal militA?A?rische Hilfe beim Suchen und Bergen der Toten – was mit der Armut im Osten und mit der fehlenden Aufmerksamkeit der Medien zu tun haben kA?A?nnte.

Jetzt beobachte man eher ein anderes PhA?A?nomen – hilflose Helfer, sagt der deutsche Arzt Schraknepper. Die Hilfswerke wA?A?rden oft ohne jede Landeskenntnis handeln, und lA?A?ngst seien auch die A?A?blichen RivalitA?A?ten ausgebrochen. “Manche Helfer kommen an, sind drei Tage da, verteilen Medikamente, die niemand braucht, und sind wieder weg. Andere werden hier hingeschickt, stellen fest, die KA?A?ste ist mit Hilfe abgedeckt, und streiten sich nun um den Verteilungskuchen.” Die Regierung aber sei mit der Lage vA?A?llig A?A?berfordert und werde von der Hilfe fA?A?rmlich A?A?berrollt.

Am Strand von Arugam Bay landen den ganzen Tag A?A?ber Marineboote an. Sie bringen AufrA?A?umtrupps, junge MA?A?nner aus Sri Lanka in Shorts mit Spaten und Hacken. Sie wollen die Schule im Ort von Schutt und MA?A?ll befreien. Sie marschieren durch die tiefen Furchen, die der Tsunami gerissen hat, als er die StraA?A?e im Ort unterspA?A?lte und die Auffahrt zu einer BrA?A?cke A?A?ber den Sund wegriss, die Arugam Bay mit dem Festland verbindet.

Die BrA?A?cke ragt nun ins Leere, deshalb kann das Dorf zurzeit nur per Boot erreicht werden. Noch immer liegen verkeilte Autos zwischen Betonbrocken und den Resten von Fischerbooten. Die Arbeiter passieren auf ihrem Weg durch das TrA?A?mmerfeld Zelte der Vereinten Nationen, sie sehen A?A?berlebende, die an provisorischen HA?A?tten zimmern, und sie sehen all jene jungen EuropA?A?er und Amerikaner in festen Stiefeln und Tropenwesten, die scheinbar ziellos in die eine oder andere Richtung streben.

“Ich bringe diese vier Ampullen auf die andere Seite der Lagune”, sagt Nick, ein bA?A?rtiger junger Mann von der amerikanischen WestkA?A?ste. “Man hat mir gesagt, dass dort die KrA?A?tze ausgebrochen ist. Und das hier hilft dagegen.” Mit quietschenden Reifen hA?A?lt ein Jeep, der aus der Gegenrichtung kommt. “Wo ist denn hier das SurfA?a??E?n Sun?”, brA?A?llt ein junger Mann, “wir haben Zement und einen Generator”. Ratlos stehen kanadische Soldaten an diesem Tag an der zerbrochenen BrA?A?cke.

Arugam Bay liegt in einer Region abseits der TourismusstrA?A?me. Die Gegend war zwanzig Jahre lang Kampfgebiet. Wie im Norden der Insel haben auch im Osten die tamilischen Rebellen immer wieder groA?A?e Gebiete in ihre Gewalt gebracht, auch in den UrwA?A?ldern um Arugam Bay. Trotzdem gab es fA?A?r Reisende einen guten Grund, die Armee-Checkpoints zu A?A?berwinden, um hierher zu kommen: Nirgends sonst auf Sri Lanka war die Brandung schA?A?ner. Viele Surfer verbrachten in den GA?A?stehA?A?usern ein ganzes Jahr, einige haben sich HA?A?user gekauft. Vielleicht hat der Ort deshalb jetzt eine besondere Art von Helfern angezogen.

Mit groA?A?en Augen betrachten die Einheimischen das Treiben der jungen AuslA?A?nder in ihrem Dorf. 5000 Menschen lebten in Arugam Bay, die Flutwelle hat 500 oder 700 mit sich gerissen, auch einige Touristen, im Dorf hat jede Familie Tote zu beklagen. Vorher lebten sie hier vom Fischfang, vom Reisanbau und auch vom Tourismus. Jetzt hocken sie unter den Planen und wissen nicht, was sie tun sollen. Die Nothilfe hat sie erreicht, wenn auch mit VerzA?A?gerung. “Es gibt genug zu essen, es gibt Medizin”, sagt ein Fischer, der seine Frau und zwei Kinder verloren hat. “Nur das Wasser, das sie uns geben, ist salzig. Man kann es nicht trinken.” Das franzA?A?sische Rote Kreuz hat in Arugam Bay eine schA?A?ne Wasseraufbereitungsanlage gebaut, nur kommt das Wasser aus einem Brunnen, der viel zu nah am Meer liegt.

Die Wasseraufbereitungsanlage steht genau dort, wo einmal der Rest des Siam View Hotels stand, einer Pension nicht weit vom Strand. Im Siam View Hotel geht es in diesen Tagen ein wenig zu wie in einer Jugendherberge. An der groA?A?en Tafel A?A?ber dem Tresen steht, das Essen sei umsonst, “und jeder gibt in die Kasse, was er kann”. Wenn es Abend wird, sitzen sie an den Holztischen, junge Menschen aus Deutschland, Italien und Amerika, Helfer und Idealisten, sie trinken Bier und reden.

Manfred Netzwand-Miller sitzt dann dazwischen. Er ist 54 Jahre alt, Deutsch-EnglA?A?nder, ein Abenteurer, der viel herumgekommen ist, frA?A?her mal Offizier der britischen Army war und jetzt Chef des Hotels ist. Nur ein kleiner Teil seines Hauses ist A?A?brig geblieben, als der Tsunami durch Arugam Bay fegte. Manfred Netzwand-Miller sagt, er versuche vor allem dafA?A?r zu sorgen, dass die Leute im Ort wieder Hoffnung schA?A?pfen. “Dass sie sich nicht hA?A?ngen lassen. Wir zeigen ihnen, wie man weitermacht. Das ist auch ein wichtiger Teil von Nothilfe.”

Netzwand-Miller hat sein Hotel zum Treffpunkt der Helfer gemacht – jener Helfer, deren Einsatz er mit einem gewissen Spott beobachtet. Sein GrundstA?A?cksnachbar, ein 35 Jahre alter DA?A?ne, sieht es A?A?hnlich. Er sagt nur immer wieder “chaotisch” und schA?A?ttelt den Kopf. “Absolut chaotisch.” Per JA?A?rgensen hat rotes, kurz geschnittenes Haar, einen rA?A?tlichen Bart und von der Sonne gerA?A?tete Haut. Auch er hat einen Generator organisiert und eine Pumpe, er hilft seinen einheimischen Nachbarn, ihre verstopften und mit Meerwasser vergifteten Brunnen zu sA?A?ubern. “Hier waren Leute von irgendwelchen Hilfsorganisationen, die haben Brunnen gesA?A?ubert und dann sind sie wieder verschwunden”, sagt er. “Aber niemand hat das Wasser der Brunnen anschlieA?A?end geprA?A?ft.” JA?A?rgensen hat nun einen Kontakt zu anderen Helfern hergestellt, die irgendwo im Busch ein Wasserlabor haben sollen. “Aber niemand organisiert hier irgendwas, es gibt nicht die geringste Koordination der Hilfe, vieles wird doppelt gemacht und anderes gar nicht”, sagt Per JA?A?rgensen.

Das Rote Kreuz immerhin hat zunA?A?chst Erkundungstrupps in die Notgebiete geschickt, auch in den Osten Sri Lankas, und dann erst MaA?A?nahmen ergriffen. Deutsche Rot-Kreuz-Helfer haben zum Beispiel bei Komari, einem vA?A?llig zerstA?A?rten Fischerdorf zwanzig Kilometer von Arugam Bay entfernt, eine Wasseraufbereitungsanlage errichtet, die ihr Wasser aus einem Fluss bezieht. Unweit davon haben finnische Rot-Kreuz-Helfer ihr Feldlazarett auf die grA?A?ne Wiese gestellt, haben Behandlungszimmer eingerichtet, in denen sie A?A?ber dreitausend FlA?A?chtlinge versorgen.

“Wir haben zum GlA?A?ck bisher nur Fieber, Bronchitis und Durchfall festgestellt”, sagt der finnische Arzt Ukka Mikkonen, der damit rechnet, dass das Hospital etwa ein Jahr betrieben werden muss. Mikkonen weiA?A?, dass die Leute oft Dinge brauchen, mit denen die Helfer gar nicht gerechnet hatten. Denn viele Menschen hier haben verletzte FA?A?A?A?e, weil sie in der Flutwelle ihre Sandalen verloren haben und nun barfuA?A? gehen mA?A?ssen. Neue Schuhe kA?A?nnen sie sich nicht leisten.

In Arugam Bay sind an diesem Tag drei hochrangige Oppositionspolitiker zu Besuch, um sich A?A?ber die HilfsmaA?A?nahmen zu informieren. Karu Jayasuri, Mitglied der Delegation, war einmal Minister und auch zwei Jahre lang Diplomat in Deutschland. Er sagt: “Wir freuen uns A?A?ber jede Hilfe, aber es ist klar, dass wir eine bessere Koordination benA?A?tigen.”

Am Tag darauf berichten die Zeitungen in Colombo, aus England sei ein groA?A?es Flugzeug voll mit Wasserflaschen eingetroffen. Ganz A?A?berraschend.

Die Reporter Frank Nordhausen, Willi Germund und Pablo Castagnola, die in den vergangenen Wochen in SA?A?dasien waren, berichten an diesem Donnerstag ab 18 Uhr in einem Leserforum von ihren Erfahrungen. Das Forum findet im Hause des Berliner Verlags am Alexanderplatz, Karl-Liebknecht-StraA?A?e 29, statt. Der Eintritt ist frei.

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“Manche Helfer kommen an, sind drei Tage da, verteilen Medikamente, die niemand braucht, und sind wieder weg.”

Ein deutscher Arzt

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