Schwieriger Neustart
Die Tourismus-Industrie Sri Lankas hat die Folgen des Tsunamis noch immer nicht verkraftet
von Claudia Piuntek
Colombo – Ranjith Seneviratna schlA?A?ngelt sich mit einem vollen Tablett an den Tischen vorbei. Der Besitzer des kleinen Strandrestaurants in Hikkaduwa serviert seinen GA?A?sten frische FruchtsA?A?fte und eisgekA?A?hltes Bier. Eigentlich dA?A?rfte es “RanjithA?a??E?s Beach Hut” gar nicht mehr geben. Vor einem Jahr hatte der Tsunami im SA?A?dwesten Sri Lankas nur TrA?A?mmer hinterlassen, und die beliebte Strandbar liegt innerhalb der 100-Meter-Bannzone, die danach nicht mehr bebaut werden durfte. Doch schon zwei Wochen nach dem UnglA?A?ck begann Ranjith Seneviratna mit dem Wiederaufbau. Er nutzte das groA?A?e Durcheinander und lieA?A? schnell ein neues GebA?A?ude hochziehen, bevor die BehA?A?rden die SchA?A?den A?A?berhaupt nur erfassen konnten. Bereits Ende Februar empfing das wiederaufgebaute Restaurant die ersten GA?A?ste.
Als Reaktion auf die vielen Toten und die ZerstA?A?rung entlang der KA?A?ste brachte Sri Lankas Regierung zu Jahresbeginn die “KA?A?stenerhaltungszone” wieder ins GesprA?A?ch. Das Gesetz aus den 80er Jahren erlaubt den BehA?A?rden, Bauverbote zu erlassen. Neu definiert wurde lediglich der Mindestabstand zum Meer: 100 Meter in den Haupttourismusgebieten im SA?A?dwesten, 200 bis 300 in den Tamilengebieten im Osten und Norden. Nach offizieller Darstellung dient die “KA?A?stenerhaltungszone” dem Schutz der BevA?A?lkerung. Die Hilfsorganisation Medico International jedoch sprach von einer zweiten Vertreibungswelle und vermutete, daA?A? die BehA?A?rden die Gelegenheit nutzten, um der Fischereiindustrie und dem internationalen Tourismus den Weg zu ebnen. Auch sind die touristisch erschlossenen Gebiete im Westen und SA?A?dwesten so dicht besiedelt, daA?A? Obdachlosgewordene weit ins Landesinnere hA?A?tten umziehen mA?A?ssen. Und dahin verirren sich keine Touristen. Die wollen, wie Ranjith Seneviratna weiA?A?, “am Meer sitzen und nicht im Inland”.
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GroA?A?e Hotels allerdings erhielten Genehmigungen fA?A?r den Wiederaufbau und sogar fA?A?r Neubauten innerhalb der Bannzone. Kein Wunder, denn das Fremdenverkehrsamt Sri Lankas sieht die Zukunft weniger im Individual- als vielmehr im Luxustourismus und fA?A?rdert gezielt die Ansiedlung internationaler Hotelketten. Das Land hat GroA?A?es vor, will sich als “Reiseziel der Weltklasse” etablieren. Wer Sri Lanka und seine fehlende Infrastruktur kennt, wundert sich A?A?ber derartige Ziele.
Anfang des Jahres legte die Regierung ein 8,5 Mio. Euro teures Marketingprogramm auf, um den Reisemarkt anzukurbeln, und verweist nun auf Statistiken, die fA?A?r die ersten neun Monate 2005 eine Zunahme der Besucher von acht Prozent gegenA?A?ber dem Vorjahr ermittelt haben. Das Problem: Zum einen wurden nicht die A?A?bernachtungen, sondern die Einreisen gezA?A?hlt, alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Privathelfer inklusive. Zum anderen bleiben vor allem Besucher aus den bisherigen KernmA?A?rkten in Westeuropa aus. In ihrem Trendbarometer vom November stuft die Zeitschrift “Touristik Report” Sri Lanka als grA?A?A?A?ten Verlierer der Wintersaison ein: 18 der 20 wichtigsten deutschen Reiseveranstalter melden ein Minus von bis zu 70 Prozent. Eine katastrophale Entwicklung fA?A?r die 600 000 Menschen, die hier vom Tourismus leben.
Wie Ranjith Seneviratna mit seiner gleichnamigen Strandbar. Immerhin haben die vielen Betroffenen wie er mit ihren Protesten erreicht, daA?A? die “KA?A?stenerhaltungszone” zumindest inoffiziell vom Tisch ist. All die kleineren, innerhalb der Bannzone illegal aufgebauten Betriebe laufen angesichts von WillkA?A?r, Korruption und instabiler politischer Lage jedoch Gefahr, ihre neu errichteten GebA?A?ude wieder abreiA?A?en zu mA?A?ssen.
Schwieriger Neustart (2)
Staatliche Banken taten ein A?A?briges, den Wiederaufbau zu behindern. Tsunami-Opfer, die ihr zerstA?A?rtes Eigentum auf Basis alter Baugenehmigungen innerhalb der Bannzone aufbauen wollten, bekamen keine Kredite. In den GenuA?A? der nach der Katastrophe in Aussicht gestellten gA?A?nstigen Darlehen kamen nur Unternehmer mit guten Kontakten zu Privatbanken.
Ein Mann mit guten Kontakten ist Ananda Jayadewa, Besitzer des “Paradise Beach Club” in dem kleinen Touristenort Mirissa an der SA?A?dspitze der Insel. Nachdem die Riesenwelle das Hotel verschluckt hatte, bangte er monatelang um die Erlaubnis, die Anlage direkt am Strand wieder aufbauen zu dA?A?rfen. WA?A?hrend dieser Zeit produzierten Jayadewa und seine Angestellten Zementsteine fA?A?r ein groA?A?es Hilfsprojekt. Die Geduld wurde belohnt: Jayadewa bekam die Baugenehmigung und einen gA?A?nstigen 430 000-Euro-Kredit von einer Privatbank. Ein Jahr nach dem Seebeben ist der Wiederaufbau im Gange, die Zementsteine werden mittlerweile fA?A?rs Restaurant und fA?A?r neue Strand-Bungalows verwendet. “Ich hoffe, daA?A? wir im Juli, zu Beginn der Sommerferien in Europa, erA?A?ffnen kA?A?nnen”, sagt der Hoteleigner.
Weniger optimistisch ist Fred Netzband-Miller vom “Siam View Hotel” in Arugam Bay. 156 GA?A?ste befanden sich am 26. Dezember letzten Jahres im Hotel des Deutsch-EnglA?A?nders. Weil der GA?A?rtner die Flutwelle kommen sah, konnten sich die GA?A?ste in Sicherheit bringen. Aber mehr als 400 Menschen, ein Zehntel der Bewohner, starben in Arugam Bay. Um den Wiederaufbau seines Hotels konnte sich Netzband-Miller zunA?A?chst gar nicht kA?A?mmern. Er wurde als Lebensretter und Versorger gebraucht: “Arugam Bay war tagelang von der AuA?A?enwelt abgeschnitten. Die erste Hilfsorganisation traf hier am Silvestertag ein. Wir muA?A?ten zunA?A?chst Nothilfe fA?A?r die A?A?berlebenden leisten”, erinnert sich der in Afrika aufgewachsene Hotelier. Da auch spA?A?ter nur wenig Hilfe in dem stark zerstA?A?rten Surferort ankam, steckte er seine gesamten RA?A?cklagen sowie alle Privatspenden der GA?A?ste und Freunde in die Notversorgung der BevA?A?lkerung. Sein provisorisch eingerichtetes Restaurant betrieb er nach dem Solidarprinzip: AuslA?A?ndische Helfer und GA?A?ste zahlten nach Ermessen, Einheimische wurden umsonst versorgt.
Obwohl ihm die Flut einen Schaden von 400 000 Euro hinterlassen hatte, investierte Netzband-Miller seine letzten Ersparnisse in ein Tsunami-FrA?A?hwarnsystem fA?A?r die BevA?A?lkerung. Jetzt ist er pleite, der Wiederaufbau des “Siam View Hotels” geht nur schleppend voran. Den gA?A?nstigen Kredit, den die Regierung allen Tsunami-Opfern versprochen hatte, bekam auch Netzband-Miller nicht. Er hatte den Antrag bei seiner Hausbank, der staatlichen Bank of Ceylon, gestellt, die doch eben keine Bauvorhaben in der Bannzone finanziert. Die rettende Alternative, eine Privatbank, aber gibt es nicht in der strukturschwachen Region.
Entlang der OstkA?A?ste richtete der Tsunami die grA?A?A?A?ten SchA?A?den an. Das “Shahira Hotel” in Nilaveli etwa wurde von der Welle schwer zerstA?A?rt. Manager Mohammad Sadiq wA?A?re in einem der Hotelzimmer ertrunken, wenn die steigenden Wassermassen nicht die TA?A?r aus den Angeln gerissen und ihn hinausgespA?A?lt hA?A?tten. Sadiqs Arbeitgeber hatte zwar eine GebA?A?udeversicherung, diese zahlte aber nicht, weil laut Police zwar FlutschA?A?den versichert waren, das Wort “Tsunami” aber nicht vorkam. Auf den Kreditantrag des EigentA?A?mers hat die Staatsbank nie reagiert. “Dabei liegt das Hotel auA?A?erhalb der 200-Meter-Zone”, sagt der Hotelmanager. Inzwischen hat sein Chef mit privaten RA?A?cklagen und einem kleinen Kredit bei einer Privatbank einen Teil der ZerstA?A?rungen beheben kA?A?nnen. Und die Hotelcrew hofft, daA?A? die GA?A?ste bald nach Nilaveli zurA?A?ckkehren.
Schwieriger Neustart (3)
Regierungshilfen oder Staatskredite hat auch Strandbar-Betreiber Ranjith Seneviratna aus Hikkaduwa nicht erhalten. DafA?A?r aber private Spenden von befreundeten Touristen. Er hat das Bauverbot einfach ignoriert und schnell alles Geld in den Wiederaufbau gesteckt. Eine lohnende Entscheidung: “RanjithA?a??E?s Beach Hut” entwickelte sich zum Treffpunkt der Helfer aus aller Welt, die in der Umgebung Wohncamps und Behelfsschulen errichteten.
Inzwischen herrscht im SA?A?dwesten der Insel fast wieder NormalitA?A?t. In dem kleinen Strandrestaurant erinnert nur noch ein Foto, das ein FrA?A?hstA?A?cksgast von der herannahenden Welle gemacht hatte, an die groA?A?e Katastrophe. Seneviratnas Kunden sind zurA?A?ckgekehrt, um den Blick auf das Meer zu genieA?A?en. Und um zu vergessen, was sie hier vor einem Jahr erlebt haben.
Artikel erschienen am Fr, 30. Dezember 2005
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